Am 16. Mai 2025 wurde in Giengen an der Brenz der „Verein zur Förderung von IT aus Europa“ (ITE) ins Leben gerufen. Der Zusammenschluss deutscher und europäischer IT-Hersteller, Dienstleister und Branchenakteure verfolgt ein ambitioniertes Ziel: die Stärkung digitaler Souveränität durch IT-Produktion, Entwicklung und Wertschöpfung in Europa.
Mit dem geplanten Gütesiegel „IT aus Europa“ will der Verein künftig Unternehmen kennzeichnen, die IT-Komponenten oder -Dienstleistungen mit überwiegend europäischem Ursprung anbieten. Dies soll vergleichbar mit Herkunftskennzeichnungen aus anderen Branchen sein. Doch was steckt hinter dieser Initiative? Wo liegen die Potenziale und wo mögliche Fallstricke? Denn was passiert, wenn Datentransfers in die USA nicht mehr rechtmäßig sein sollten, können Sie in unserem Artikel Datentransfers in die USA unter Beobachtung – Rewion IT-Beratung & Services nachlesen.
Hintergrund und Motivation des Vereins
Die geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre – vom US-China-Technologiekonflikt bis hin zu Versorgungsengpässen bei Chips – haben Unternehmen und Regierungen in Europa wachgerüttelt. Die übermäßige Abhängigkeit von globalen Technologiekonzernen, insbesondere aus den USA und Fernost, wird zunehmend als Risiko für Datenschutz, Innovationsfähigkeit und wirtschaftliche Resilienz wahrgenommen.
Der ITE will dieser Entwicklung etwas entgegensetzen. Auf der Website ite-verein.eu formuliert der Verein die Vision, die IT-Wertschöpfung zurück nach Europa zu holen. Dabei geht es nicht nur um Hardwareproduktion, sondern auch um Softwareentwicklung, Beratung, Systemintegration und Service, also den gesamten IT-Lebenszyklus.
Der Verein versteht sich explizit nicht als Konkurrenz zu bestehenden Initiativen wie Gaia-X, sondern als praktische Ergänzung auf Unternehmensebene. Der Fokus liegt auf Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Stärkung regionaler IT-Ökosysteme.
In einer Zeit, in der die Abhängigkeit von außereuropäischen IT-Anbietern zunehmend kritisch betrachtet wird, setzt der ITE ein Zeichen für mehr Unabhängigkeit und Qualität im europäischen IT-Sektor. Das Gütesiegel soll als Orientierungshilfe für Unternehmen und Verbraucher dienen, die Wert auf regionale Wertschöpfung und nachhaltige IT-Lösungen legen.
Das geplante Siegel „IT aus Europa“
Kernstück der Initiative ist ein Gütesiegel, das es Unternehmen ermöglichen soll, ihre Produkte oder Dienstleistungen als „europäisch“ basierend auf nachvollziehbaren Kriterien zu kennzeichnen wie z. B.:
- Europäischer Ursprung wesentlicher IT-Komponenten
- Entwicklung oder Fertigung innerhalb Europas
- Datenspeicherung und Support in europäischen Rechenzentren
- Erfüllung europäischer Datenschutz- und Nachhaltigkeitsstandards
Die Zielsetzung ist eindeutig: Transparenz für Kunden schaffen und europäische Anbieter sichtbar machen. In einer zunehmend fragmentierten Technologiewelt, in der Herkunft und Lieferkette oft undurchsichtig sind, kann ein solches Label zur Orientierung beitragen. Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die Wert auf digitale Souveränität, Datenschutz und ESG-konforme IT legen.
Einordnung und offene Fragen
So begrüßenswert das Ziel ist, so risikoreich ist das Vorhaben. Für uns als Rewion stehen dabei insbesondere die folgenden Fragen im Fokus:
Ein weiteres Label im Siegel-Dschungel?
Es gibt bereits eine Vielzahl an IT-Labeln und Nachhaltigkeitszertifikaten (Blue Angel, TCO, EPEAT, EU Ecolabel, Gaia-X Compliance, ISO 14001 etc.). Das neue ITE-Siegel könnte Gefahr laufen, in der Flut unterzugehen, wenn es nicht klar differenziert wird oder als rein symbolisches Marketinginstrument wahrgenommen wird.
Unklare Kriterien & Transparenz?
Der Erfolg eines Siegels hängt maßgeblich von klaren, unabhängigen und überprüfbaren Kriterien ab. Die Website des ITE macht deutlich, dass derzeit noch an der genauen Ausgestaltung gearbeitet wird. Ohne transparente Kriterien und Prüfprozesse könnte der Anspruch auf Glaubwürdigkeit Schaden nehmen.
Was ist wirklich „europäisch“?
In einer globalisierten Lieferkette ist es schwer, klare Grenzen zu ziehen. Wenn z. B. ein Server in Deutschland zusammengeschraubt, aber mit Komponenten aus Asien bestückt wird. Reicht das für das Siegel? Oder braucht es einen Mindestanteil europäischer Wertschöpfung?
Wettbewerb oder Zusammenarbeit?
Besteht die Gefahr, dass durch nationale oder regionale Abgrenzung die internationale Zusammenarbeit gehemmt wird? Oder kann das Label sinnvoll implementiert sogar als Brücke fungieren?
Bedeutung für nachhaltige IT-Governance
Gerade im Kontext nachhaltiger IT gewinnt die Initiative an Relevanz. Wer nachhaltige IT-Governance etablieren will, also Prozesse, Beschaffung und IT-Strategien mit ökologischen, sozialen und regulatorischen Zielen verknüpft, braucht verlässliche Indikatoren:
- Herkunft der IT-Hardware (z. B. CO₂-Fußabdruck durch Transportwege)
- Fairness und Transparenz in der Lieferkette
- Datenschutzkonformität (z. B. Speicherung in der EU)
Ein europäisches Herkunftssiegel kann hier ein zusätzliches Steuerungsinstrument sein, z. B. als Bestandteil von Ausschreibungen, IT-Richtlinien oder ESG-Reportingprozessen. Vorausgesetzt, es erfüllt die Anforderungen an Nachweisbarkeit und Standardisierung.
Fazit: Gütesiegel mit Potenzial und Verantwortung
Der ITE adressiert mehrere hochaktuelle Themen wie die digitale Souveränität, nachhaltige IT und europäische Resilienz. Er setzt auf eine Vision, die viele in der IT- und Nachhaltigkeitsszene teilen, denn es geht um mehr Transparenz, stärkere regionale Wertschöpfung und die Unabhängigkeit von geopolitischen Risiken.
Doch ein Siegel allein reicht nicht. Damit der ITE mehr wird als ein Label unter vielen, braucht es vor allem klare, überprüfbare und öffentlich zugängliche Kriterien. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach einer unabhängigen Zertifizierungsstelle. Wer darf das Siegel vergeben oder auditieren? Eine starke Kommunikationsstrategie sollte zudem für Sichtbarkeit sorgen und deutlich machen, dass eine Einbettung in bestehende Nachhaltigkeits- und IT-Governance-Prozesse unabdingbar ist. Nur dann wird aus dem Gütesiegel auch ein echtes Gütesiegel.
Sie haben weitergehende Fragen und Interesse daran, wie Sie Nachhaltigkeit in Ihre IT-Governance integrieren, IT-Kosten reduzieren und die IT langfristig effizienter aufstellen können? Sprechen Sie uns gerne oder vereinbaren Sie ein unverbindliches 30-minütiges Kennenlernen.